Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Besitz und Genuß sich den Himmel hier auf Erden schaffen will. Leute dieser Gesinnung beschuldigen das Christentum und die Kirche, daß sie durch ihre Lehre vom jenseitigen Himmel und seinen Gütern die Men schen im ernsten Streben nach irdischem Glück hin dern, sie in Unwissenheit erhalten und immer tiefer in Not und Elend sinken lassen." Freilich will nun auch die Kirche die vom Sündenfluch getroffene Erde nicht zum Himmel machen — und sie vermag es auch nicht —, so weiß und lehrt sie vom Brotessen im Schweiße des Angesichts und vom Leid der Gerechten, und bietet zugleich die Mittel zur Milderung des menschlichen Elends. „Der wahrhaft christliche Arbeitgeber erkennt in seinem Arbeiter das Ebenbild Gottes, entschädigt ihn ehrlich für seine Arbeit, sucht dessen Wohl wie sein eigenes nach Möglichkeit zu fördern. Der Arbeiter hin wieder, den Christi Geist beseelt, ist mit seinem Los zufrieden. Er arbeitet gern und fleißig; weiß er ja, daß Arbeit sein Beruf, zugleich seine Ehre und Würde ist und ihm nebst irdischem Verdienst den Lohn des Him mels sichert. Er kennt das Wort des Herrn von der Kreuzesnachfolge und trägt daher Leiden, Unangeneh mes und Drückendes mit Ergebung und Geduld. Er bleibt Kreisen fern, in denen nur vom Druck, der auf den Arbeitern lastet und von deren Rechten ge sprochen wird, nie aber von deren Pflichten, nie vom Lohn, den Christus den treuen, gewissenhaften Arbei tern im Jenseits zugesichert hat. Ihm ist der Himmel so wenig eine Fabel wie die Hölle und er hofft mit Zuversicht auf gerechte Vergeltung im Jenseits." Wie Christentum und Kirche das Los der Arbeiter milderten und mildern, so auch das der Armen. Auch haben sie Ehe und Familie geheiligt und tragen so zum Gedeihen des sozialen und staatlichen Lebens wesent lich bei. Beider heilsamer Einfluß wirkte sich auch auf die Leiter und Lenker von Staaten aus. Denn kein gesundes Staatsgebilde kann die Religion entbehren. Die seit einem Jahrhundert von Frankreich ausgehende antichristliche Bewegung erweist es, daß eine dauernde staatliche und soziale Ordnung ohne Religion nicht möglich ist. Überzeugt vom beglückenden Einfluß des Christentums und der Kirche auf den einzelnen Men schen, die Familien, die Staaten, ja die ganze Mensch heit, suchen wir stets im Glauben zu wachsen und geben dem offen Ausdruck in Wort und Tat-*^')! Neben dem regulären Anlaß jeweils zum Fasten beginn boten dem Fürsterzbischof auch außerordent liche Anlässe willkommene Gelegenheit, zu seinen Diözesanen zu sprechen und sie religiös anzuregen. Als Leo XIII. am 1. September 1883 den katholischen Erd kreis zum Rosenkranzgebet im Monat Oktober auf rief, verordnete er für die ganze Erzdiözese, daß in allen Pfarr-, Kloster- und anderen öffentlichen Kir chen an den Wochentagen „so oft wie tunlich" während der Pfarrmesse, an Sonn- und Feiertagen beim nach mittägigen Gottesdienst der Rosenkranz und die Lauretanische Litanei gebetet und mit besonderer Feier lichkeit das Rosenkranzfest am 7. Oktober begangen werde**^). Ebenfalls nach römischer Anordnung wurde zur Vorbereitung des 1900. Geburtstages der allerseligsten Jungfrau Maria für 6., 7. und 8. September 1884 ein Triduum mit Aussetzung des Allerheiligsten und Rosenkranzgebet während der Pfarr- oder Konvent messe und während der Nachmittagsandacht ange setzt'-). 1885 war die Reliquienauffindung des Apostels Jakobus des Älteren in Compostella (Spanien)^^) ^nd 1886 das außerordentliche Jubiläum „eines heiligen Jahres der Versöhnung mit Gott", so wie bei den anderen angeführten Festen, das Motiv, die Gläubigen zur Gewinnung der hiefür ausgeschriebenen Ablässe herzlich einzuladen^*'). Mit besonderem Glanz und Aufwand wurde als patriotisch-religiöses Fest der 200. Gedächtnistag der Befreiung Wiens, von den Türken gefeiert. Schon im Vorbereitungsjahr wurde an dieses Säkular-Ereignis von welthistorischer Bedeutung „erinnert, und da man glaubte, den Jahrestag des Entsatzes von Wien nicht besser begehen und die Treue für Kaiser und Reich und die Tapferkeit seiner Bürger nicht gebührender ehren zu können als durch die Errichtung eines pas senden Denkmals",wurden vom k.k.Kultus- und ünterrichtsministerium im März 1882 die Bildhauer und Architekten aus der ganzen Monarchie zur Beteiligimg an den Konkurrenzarbeiten aufgerufen und in sieben Punkten die Bewerbungs-Modalitäten genauest vorge schrieben. Als Aufstellungsort war der Stephansdom ausersehen, und zwar die Halle an der Westseite unter dem hohen Turm, weil von hier aus Rüdiger von Starhemberg die Verteidigung der eingeschlossenen Stadt geleitet hatte^'^). Auch zwei große literarische Publikationen, ein militärwissenschaftliches und ein illustriertes Werk wurden geplant^"). Die Ausführung des Monumentes brauchte natürlich ihre Zeit. 1884 wurde dann das von Professor Edmund Hellmer ein gereichte und genehmigte Werk der Öffentlichkeit im Entwurf bekanntgemacht und von einem ProponentenKomitee mit dem Fürsterzbischof an der Spitze „um Unterstützung dieses patriotischen Unternehmens" ge beten*''^). Die Vollendung dieses Kunstwerkes konnte Gangibauer nicht mehr erleben, da es statt nach sechs erst nach zehn Jahren vollendet wurde. Die feierliche Enthüllung fand am 13. September 1894 unter seinem Nachfolger Kardinal Gruscha statf®). Wohl aber gelang unter Gangibauer ebenfalls im Stephansdom die Aufstellung eines rein religiösen Er innerungsmales, und zwar eines Marienaltars^®) im Marienchor, wo bis dahin ein dürftiger Notaltar ge standen. Es sollte dies eine augenfällige „Ehrung der reinsten Gottesmutter sein, die durch ihre vielver mögende Fürbitte zur Rettung Wiens so vieles bei getragen hat". Zur Aufbringung der Mittel wandte er sich „als Oberhirte der Erzdiözese, dem die würdige Ausschmückung der Metropolitankirche Herzenssache, an die Frömmigkeit und den erleuchteten Kunstsinn eines hohen Adels und der Bürger Wiens, an den Klerus, aus dem wohl die meisten hier die Priester weihe empfangen, und an die Gläubigen, von denen viele hier geflrmt worden, und appellierte vor allem an die Mitglieder des Herz Jesu-Vereines, die jetzt schon ihre gemeinsamen Andachten in diesem Chor halten^"'*)". Beim Aufschwung der Herz Jesu-Verehrung durch Leo XIII. kam auch ein Herz Jesu-Altar in den Dom. Zur Feier selbst, die durch ein Breve Leos XIII. vom 14. August ausgezeichnet worden^'^) und wofür der österreichische Episkopat am 12. September mit einer Adresse gedankf'-), hatte er in einem eigenen Hirten29

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