Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Freimaurerei und von Seiten der Gläubigen, indem sie zur Sühne am Schutzengelfest (1. September) mög lichst im Stephansdom die hl. Kommunion empfangen und in ihren Kirchen an der Betstunde vor ausgesetz tem Hochwürdigstem Gut teilnehmen^®). Die katholi schen Vereine und die katholische Presse folgten auch in beiden Fällen der oberhirtlichen Einladung mit ihren Protestaktionen. Neben diesen in die Augen springenden und in der Öffentlichkeit wirkenden Kundgebungen wurde aber keineswegs die grundlegende cura ordinaria über sehen und, wenn auch weniger auffallend, durchge führt, wie die Jahrgänge des diözesanen Amtsblattes (1881/89) zu bezeugen vermögen. So sei gleich bei den Sakramenten begonnen. Wie schon angezeigt, wurde zum öfteren Sakramentenempfang angeregt, so oft sich Anlässe hiefür boten. Für die Erstkommunikanten wurde ein Indult erwirkt. „Wird auch zu meinem gro ßen Trost", erklärte der Fürsterzbischof, „in Stadt und Land die erste hl. Kommunion der Kleinen in so feier licher und erhebender Weise abgehalten, daß hiebei auch die Erwachsenen nicht ohne Erbauung und See lennutzen bleiben, so wandte ich mich doch um die feierliche Ausspendung der Erstkommunion, deren Förderung mir wahrhaft Herzenssache ist, noch segensreicher zu gestalten, an den Apostolischen Stuhl mit der Bitte, man möge den Erstkommunikanten für den »größten Tag ihres Lebens' einen vollkommenen Ablaß gewähren, dem von Leo XIII. mit Freude ent sprochen wurde. — Die Seelsorger und Religionslehrer meiner Erzdiözese werden gewiß dies ebenfalls freu digst begrüßen und für die Durchführung sorgen"®®). Mußte man „in Anbetracht der in Wien obwaltenden eigentümlichen und schwierigen Verhältnisse", „aus nahmsweise" Nachmittagstrauungen gestatten, so wurde doch dieser auch auf das Land übergreifenden Verschiebung der Hochzeiten auf den Nachmittag ent gegenzuwirken versucht, indem die Seelsorger ange wiesen wurden, jene Brautleute, die ohne hinreichen den Grund dies wünschten, durch geeignete Vorstel lungen davon abzubringen®^). Erwähnung verdienen auch die Bestrebungen zur Hebung des Gottesdienstes, und da wieder vornehmlich der Kirchenmusik und des Kirchengesanges. „Um nun jenes edle und einflußreiche Gebiet wie der im kirchlichen Geiste zu pflegen", hatte sich imter Gangibauers Vorgänger Kardinal Kutschker der „All gemeine Kirchenmusik-Verein St. Ambrosius in Wien" gebildet, der bereits durch seine Wirksamkeit nach außenhin gezeigt, daß er lebenskräftig ist und sich zu entwickeln vermag. Ein Instruktionskurs für Chor dirigenten, die Errichtung einer Organisten- und Chorregentenschule, die Zusammenstellung eines ge mischten Chores, die Aufführung von Konzerten fan den bereits gebührende Anerkennung. Seine Bedeu tung zu unterstreichen, übernahm unser Fürsterz bischof schon im Frühjahr 1882 das Protektorat dar über und bestätigte den Propstpfarrer der Votivkirche, Prälat Dr. Marschall, als Vorstand. Alle Pfarrer und Kirchenvorsteher wurden aufgerufen, sie möchten bei der Verwirklichung der Grundsätze mithelfen und bei Besetzung von Organisten- und Chorregentenstellen auf die musikalisch und liturgisch eingeschulten Zög linge genannter Vereinsschule Bedacht nehmen®^). Im Jahr darauf gab der Verein bereits ein „Album für Kirchenmusik" für leicht aufführbare, kirchliche Musik heraus, zu dem namhafte Fachleute beige steuert hatten®®). Auch Gebet- und Gesangbücher für die Kinder und die Jugend kamen heraus, wie die vom Vereins-Schriftführer und Köoperator an der Votiv kirche, Adam Latschka®"*), oder wurden neu aufgelegt, wie das Gebet- und Gesangbuch der Schulbrüder®®). Auch an die Erwachsenen wurde durch verschiedene Andachtsbücher gedacht®®). Einer der Hauptverlage für religiöses Schrifttum und ganze Serien von Heili genbildchen war die „St. Norbertus-Buch- und Kunst druckerei" in Wien IH®''^). Ein weiteres Verdienst auf dieser Linie war die Redaktion und Herausgabe des neuen DiözesanRituale, nachdem die letzte vollständige Ausgabe unter Kardinal Migazzi i. J. 1774 und die Neuauflage eines Teiles 1830 erfolgt war. Hatte auch schon ein eigenes Arbeits-Komitee unter Kardinal Kutschker damit be gonnen, so wurde es doch „durch Gangibauers benediktinisches Interesse an der Liturgie" erst richtig vorangetrieben und unter dem Titel „Collectio rituum... tres partes" von der St. Norbertus-Druckerei in Wien 1889 herausgebracht®®). Angesichts der sich stetig steigernden Bevölke rungszahl in den Vorstädten und Vororten der Millio nenstadt Wien wurde die Versorgung der Gläubigen mit einer halbwegs genügenden Anzahl von Gottes dienststätten immer brennender. Wie den Erzbischof diese Sorge beschäftigte und wie er sie klar erkannte und eingestand, erweist das von ihm nach sorg fältigen Erhebungen veranlaßte unten stehende Ver zeichnis jener Pfarrsprengel, in denen sich das Miß verhältnis zwischen der Seelenzahl und dem Fassungs raum der jeweiligen Gottesdienststätte besonders kraß offenbarte®®). Zahlen sprechen ja eindringlicher als Worte und in ihnen liegt eine unerbittliche Folgerich tigkeit und die Kraft des Beweises, dem sich niemand entziehen kann, bemerkte er hiezu und bekannte, daß die Statistiken Arges, Ärgers ergeben hätten, als er sich vorgestellt, ja für möglich gehalten habe. Das Bedürfnis neuer Kirchen sei augenscheinlich, schleu nige Abhilfe zu treffen, sei unabweisliche PflichU®). So trat im Herbst 1888 endlich der „Verein zur Gründung eines Wiener Kirchenbau-Fonds" (später Allgemeiner Wiener Kirchenbau-Verein)ins Leben mit dem Erzbischof als ersten, dem Bürgermeister als zweiten Präsidenten und dem eb. Sekretär als Direk tor an der Spitze. Die bis ins Kleinste festgelegten Statuten nannten als Zweck „die Förderung des Aus baues der bereits in Angriff genommenen und die Er bauung neuer, der Einwohnerzahl und den sonstigen Verhältnissen entsprechenden katholischen Kirchen in Wien und in den Vororten, sowie deren Ausstattung" und zählten auch sechs Möglichkeiten zur Aufbrin gung der Mittel auf"). Der Erzbischof erließ an die Bewohner Wiens und der Vororte ein aufrüttelndes Hirtenwort: „...Die Mutter will an ihrem Kind ihre religiöse Pflicht erfül len, sie will es in die Kirche führen; die Schüler sol len dem Gottesdienst beiwohnen und haben eine halbe Stunde oder noch weiter auf stark befahrener Straße zu gehen; dem müden Greis und dem alten Mütterchen nimmt die Ferne des Gotteshauses und der Mangel an Raum in demselben die Freude, teilzunehmen an den Geheimnissen der Gnade. Es kommt der Sonntag. Die 34

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