Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Leider sei ihm aber „in Betreff dieser Eigenschaft" nichts von ihm bekannt. „Der Umstand, daß ein Feld bischof in der Regel eine freie Bewegung nur in einem geringen Grade besitzt, ist es einzig, was mir einige Besorgnis einflößt", spricht er dabei offen aus, „denn er möchte sich im Laufe der Jahre an eine Art Be vormundung in seinem Amte gewöhnt haben". Sollte jedoch Exzellenz wissen, fügte er schließlich hinzu, daß er tatkräftigen Sinn für die gottgewollte Freiheit der Kirche habe, so gelte er als von ihm primo loco, andernfalls aber als gar nicht genannt. Wie von Rudigier nicht anders zu erwarten, schließt das Schrei ben damit, daß er alle Tage zum ewigen „Bischof der Seelen" bete, er möge auf den Metropolitanstuhl von Wien einen Mann nach seinem Herzen berufen. Rascher als Rudigier, das ist bereits schon fünf Tage nach der Minister-Aufforderung, am 8. Februar, machte Bischof Binder'^) jene kirchlichen Personen namhaft®), „die nach seinem Dafürhalten in Be rücksichtigung der Verhältnisse der Wiener Erzdiözese geeignet und würdig wären, um Sr. Keiserlichen und Königlichen Apostolischen Majestät behufs der Aller höchsten Ernennung des künftigen Fürsterzbischofs von Wien gegenwärtig gehalten zu werden". Da der jeweilige Erzbischof schon bei der Übernahme seines Amtes nicht bloß mit den Zuständen der Erzdiözese vertraut sein, sondern auch einen tieferen und umfas senderen Einblick in kirchliche und staatliche Ver hältnisse besitzen soll, meinte er, dürften zur Über nahme dieses Erzbistums wohl vor allem solche kirch liche Würdenträger geeignet sein, die durch ihre bis herigen Stellungen angewiesen waren, ihr Domicil in Wien zu haben, wodurch sie in der Lage waren, sich nicht bloß eine größere Vertrautheit mit den beson deren Bedürfnissen der Wiener Erzdiözese, sondern auch einen umfassenden Einblick in kirchliche und staatliche Verhältnisse zu verschaffen. — Solche Män ner wären: der Weihbischof und mehrjährige General vikar Eduard Angerer^®), der Feldbischof Anton Gruscha"), der k. k. Hof- und Burgpfarrer Laurenz Mayer^^) und der Alumnatsdirektor Emest Müller"). Sollten aber Umstände obwalten, um derentwillen auch kirchliche Würdenträger außerhalb der Wiener Erzdiözese in Erwägung zu nehmen wären, fügte er ergänzend bei, dann möchte er „das hohe Augenmerk" Sr. Exzellenz auf den Fürsterzbischof von Salzburg, Franz de Paula Albert Eder (1876/90)^'^) und auf den Bischof von Leitmeritz, Anton Ludwig Frind^®), hin lenken, „da er diese in Bezug auf ihre persönlichen Eigenschaften ebenso wie die vorgenannten als voll kommen geeignet für den schwierigen Posten erachten zu wollen glaube". Und nun das Interessante! Wieder fünf Tage später, am 13. Februar^®), „beeilte sich .Binder' im Nachhange zu seinem ergebensten Schreiben" vom 8. d. M. die „hohe" Aufmerksamkeit des Ministers auch noch auf den Abt von Kremsmünster, C. J. Gangi bauer, hinzulenken, „welcher die zur Übernahme des Erzbischofstuhles von Wien erforderlichen Eigenschaf ten nach seinem unmaßgeblichen Dafürhalten besitzen dürfte". Was ging nun hier vor? Von woher kam und weshalb geschah die Nennung Gangibauers? Das mußte doch überraschen? Die Fragen drängen sich unwillkürlich auf. Der mit 20. Februar datierte und am 23. d. M. — dasselbe Datum trägt das Schreiben Rudigiers — vom Minister Baron Eybelfeld gehaltene Vortrag vor dem Kaiser^") könnte bereits einiges er klären, so schon das einleitende Lob über Kutschker darin: es handle sich darum, einen Mann zu erset zen, den alle Eigenschaften schmückten, die für dieses hohe Kirchenamt erforderlich seien und der durch ein langes fruchtbares Wirken sich unvergeßliche Ver dienste um Staat und Kirche, die dankbare Erinne rung seiner Zeitgenossen und einen unvergänglichen Platz in der Geschichte seines Vaterlandes erworben habe. Nach dem nun folgenden Referat über die beiden bischöflichen Schreiben führte der Minister aus, daß er nach langer, sorgfältiger Erwägung aller in Be tracht kommender Momente den letzten der Genann ten, eben Abt Ganglbauex*, sich vorzuschlagen er laube. Von den anderen genannten Persönlichkeiten könnte seines Erachtens nur der Feldbischof Gruscha, den beide Conprovinzialbischöfe — Rudigier allerdings nur mit Vorbehalt — erwähnen, ernstlich in Betracht kommen. Allein Gruscha habe auf die erste Nachricht hin, daß er für den erledigten e. b. Sitz in Betracht gezogen sei, entschieden erklärt, sich den Anforderun gen dieses hohen Amtes nicht gewachsen zu fühlen, so daß er einer auf ihn fallenden Ernennung in keinem Fall Folge zu leisten imstande wäre. An den würdigen Weihbischof Angerer, den Binder erwähnt, könne auch nicht gedacht werden, da er nach des Ministers innig ster Überzeugung zwar seiner dermaligen Stellung in ausgezeichneter Weise gerecht werde, allein ebenso zweifellos den weitaus höheren Anforderungen des Bischofsamtes nicht gewachsen sein würde. — Der weiters etwa noch zu erwähnende, weil von beiden Bischöfen genannte Domkapitular Müller sei zwar ein frommer, würdiger Mann, habe aber bisher nur in relativ bescheidenen Stellungen gewirkt und seine Be fähigung zu einem so hohen Kirchenamt, wie das hier in Frage stehende, in keiner Weise dargetan. Zusammenfassend heißt es daher schließlich, daß ihm, dem Referenten, der Abt des Stiftes Kremsmün ster eine in jedem Betrachte so hervorragende und ausgezeichnete Persönlichkeit zu sein scheine, daß er als ein nicht unwürdiger Nachfolger Kardinal Kutschkers bezeichnet werden könne. Nach Angabe der wich tigsten biographischen Daten und der Wirksamkeit unter Beigabe üblicher Floskeln und Übertreibungen — wie, daß er viele Jahre in der Seelsorge gewirkt habe (es waren doch nur drei Jahre) — und unter Hinweis auf die fast einhellige Wahl zum Abt, heißt es dann weiter: daß Gangibauer während seiner ganzen Wirksamkeit, insbesondere aber seit seiner Erhebung zum Abt Eigenschaften bekundet habe, die ihn den bedeutendsten kirchlichen Persönlichkeiten Österreichs würdig an die Seite stellen. Mit einer exemplarischen Frömmigkeit, echt christlichen Milde der Gesinnung und einem überaus wohlwollenden leutseligen Wesen vereinige er hervorragende Geistes eigenschaften, Gelehrsamkeit und Klugheit, eine sel tene Leitungsgabe und die Fähigkeit zu einem ent schlossenen, kraftvollen Auftreten, wo die Umstände ein solches verlangen. Seine echt österreichische Ge sinnung und unbegrenzte Hingabe an Kaiser und Reich (!) machten ihn über allen Zweifel erhaben. Ein treuer Sohn der katholischen Kirche, wisse er doch 18

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