Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

tige kirchliche Zustände in österreidi: Riesenpfarreien in den Wiener Vororten und Arbeiterbezirken machten eine zeitgeforderte Seelsorge unmöglich, die Katholiken waren in die zwei Parteien, Katholischer Volksi^erein mit dem Organ „Vaterland" und Christlichsoziale Par tei mit ihrer Zeitung „Reichspost", gespalten, Aka demiker, Lehrer und Bürgerliche waren weithin indifferht imd glaubenslos, dafür aber durch die deutsch nationalen und liberal-jüdischen Zeitxmgen mit Res sentiment und Haß wider Kirche und Klerus erfüllt wo^den®^). Zum Unterschied von kirchlichen Vertretern und des katholischen Volkes, die aus einem fast ererbten Sicherheitsgefühl heraus die Gefahren unterschätzten oder ihnen ob gewisser Hemmungen nicht genügend entgegenzutreten vermochten, durchschaute Stauracz von Anfang an diese Bewegungen imd war einer der ersten, der sich mit Geist, Energie imd Selbstaufopfe rung dagegen wandte. Schon 1892 hatte er eine„Werbe schrift" des Wiener Pastors und Dozenten an der evan gelischen Fakultät Dr. Paul von Zimmermann: „Was wir der Reformation zu verdanken haben, und Haupt punkte des evangelischen Glaubens"®®), durch sein Buch; „Pastor v. Zimmermann's Theologie, Philosophie und Historie. Die zehn Punkte des protestantischen Glaubens"®"), als erster „in origineller Weise nach ver schiedenen Seiten beleuchtet, geprüft und klargestellt und so zu berichtigen und zu widerlegen versucht"®'). Durch diese Schrift bekannt geworden, und wie er mit Recht erfahren, des Vertrauens vieler Leser gewiß, gab er mm zur weiteren Widerlegung genann ten Autors und anderer protestantischer Angreifer®^) ■ und in Ergänzung seines obgenannten Buches in rascher Aufeinanderfolge seine „Röntgenstrahlen" heraus, von denen es einzelne Hefte auf mehrere Auf lagen brachten. In seiner stets versöhnlichen und kor rekten, jedoch entschiedenen Haltung den Protestanten gegenüber wiederholte er, was er schon in der Einleitung zu „Pastor Zimmermann" bekannt hatte, daß er nicht als Politiker in die Arena trete, sondern als Christ, der die Gefahr für die Glaubenshinterlage kenne. Er wende sich an seine Glaubensbrüder, aber auch an die Christen der verschiedenen Bekenntnisse, und zwar aus allen politischen Parteien... Er bitte jeden ehr lichen christgläubigen Protestanten, der vor allem seine Schrift „Los von Rom" in die Hand bekomme und das Wort Liebe und Duldung nicht bloß im Muhde führe, sondern durch Taten zeige, seiner Versicherung Glau ben zu schenken, daß er ihm und seinen Glaubens genossen, die im „guten Glauben" leben, nicht wehtun wollte. Selbstverständlich wolle er nur die edlen Waf fen der Wahrheit und Tugend in Anwendung bringen und stets Patriot sedn. In diesen zur Massenverbreitung empfohlenen „Flugschriften"®®), die durchaus im Selbstverlag des Verfassers herauskamen, behandelt er genau und reich mit Zitaten belegt; Heft I. „Los von Rom'"*®), II. und III. „Los von Rom!—Los von Österreich! — Keinen Papst!"^*), IV. und V. „Die Väter der Refor mation oder Wie Deutschland protestantisch wurde"^®), VI. und VII. „Wie Deutschland protestantisch wurde und die Segnungen der Reformation auf dem Gebiete des Familienlebens"^®), VIII. und IX. „Die Segmmgen der Reformation'"*^), X. und XI. „Die Segnungen der Reformation auf dem Gebiete der Schule und für den Bauernstand"^®), XII. und XIII. „Die Segnungen der Reformation auf dem Gebiete der Volkswirtschaft"^"), XIV. „Die Entstehung des Papstthumes'"*'), XV. „Übertritte katholischer Priester"'*®). Stauracz schöpfte dabei aus den gängigen Welt- und Kirchengeschichten und anderer Literatur, nicht zuletzt auch aus der aktu ellen Presse. Als sich der Verlag Breer & Thiemann, *Hamm in Westfalen, im Frühjahr 1901 an den erfah renen Parlamentarier Prälat Dr. Scheicher*®) mit der Bitte wandte, er möge eine grundlegende Broschüre über die Los von Rom-Bewegung schreiben, die nicht den bereits zahlreichen vorhandenen „subjetiven Räsommements" ein neues hinzufügen, sondern zum erstenmal eine streng objektive, lediglich auf die Tat sachen gestützte Darstellung dieser Bewegung und ihrer Entwicklung bieten sollte, lehnte der wegen Arbeitsüberbürdung ab, schlug jedoch als für diese Auf gabe geeignet unseren erfolgreichen Publizisten vor, der auch gleich sein „Los von Rom" erweitert als wahrheitsgetreue Schilderung der österreichischen Verhältnisse anbot®®). Mitanlaß hiefür waren auch „Verdunklungsversuche" Dr. Zimmermanns, die von diesem im „Evangelischen Hausfreund", in der „Ost deutschen Rundschau" etc. unternommen wurden. Ge rade gegen das letztgenannte Blatt hatte sich Stauracz schon 1899 genötigt gesehen, „Eine kleine Richtigstel lung ostdeutscher Irrthümer", herauszugeben®*). Wie die „Röntgenstrahlen" die davon „Durchleuch teten" aufregten, erweist u. a. die von „Evangelischen Bund" herausgebrachte Gegenschrift: „Ultramontane Aufklärungsversuche. Beleuchtung der Röntgenstrah len dö H. St." (Leipzig). Stauracz reagierte darauf in seiner „Völkischen Erziehimg"®'^) so treffend, daß man hier geradezu von einer Entlarvung der von den Alldeutschen und von ge-wissen protestantischen Krei sen inszenierten Los-von-Rom-Bewegung sprechen muß, liest man darin nur die Überschriften der Kurz kapitel nach"®). Gleich in der Einleitung wi^ er mutig darauf hin — wobei er jedoch auch hier wie anders wo gerechterweise klarstellte, daß sich aufrechte Pro testanten doch direkt oder indirekt davon distanzierten und dies auch offen erklärten —, wie mit dem Ab spenstigmachen von Katholiken von ihrem religiösen Zentrum Rom die Losung: Delenda est Austria, ver bunden war. Als Mittel hiezu habe man die Entfachung und Ausbeutung des Nationalitätenhaders ausgesonnen, da Österreich infolge seiner Zusammensetzung aus verschiedenen Nationen am leichtesten gespalten sei und so dessen Macht und Bestand untergraben werden könne. Weil es katholisch sei, müsse es vernichtet wer den, ertöne es von allen Seiten. Um dessen Ruin zu bewerkstelligen, sei eben die Los-von-Rom-Bewegung geschaffen worden und dem diene seit einigen Jahren eine ganze Partei. Auch die Schule solle nun dafür eingespannt imd die Jugend auf Umwegen zum alten germanischen Götterglauben zurückgeführt werden.Die Jugend müsse national erzogen werden, laute die Lo sung dieser Deutschnationalen. Wie sehr Stauracz recht hatte, da er dieses Unterfangen als Kampf gegen die katholische Sittenlehre anprangerte und es als Schaden für das Vaterland bedauerte, wenn sein War nungsruf ungehört verhallen sollte, bestätigte sodann in einzig schauerlicherweise der Wahnwitz Hitlers, 64

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