Wieden (Kern des heutigen 4. Wiener Gemeindebezirks), deren Name nichts anderes als eine Verballhornung von „Widum" ist, zu identifizieren; dort war die Wiener Pfarre (die 1365 der Propstei zu St. Stephan, später dem 1480 prokla mierten Wiener Bistum inkorporiert wurde) noch jahrhundertelang Grund herr.^" Mit der 1137 vereinbarten Tei lung des Widums der Wiener Pfarre hängt wohl auch die später nachweis bare Teilung des Zehents zwischen den österreichischen Landesfürsten und den Inhabern der Wiener Pfarre zusam men.^' Unter der Annahme,daß mit dem Bau der Stephanskirche erst 1137 begonnen wurde^®, kann die für 1147 überlieferte Weihe der „ecclesia Wiennensis" durch den damaligen Passauer Bischof Reginbert^® -den Nachfolger Reginmars-nur einem Teil des Baues, vermutlich den über dem Presbyterium errichteten Par tien, gegolten haben, denn die durch Grabungen festgestellten Ausmaße schließen eine Vollendimg in bloß zehn Jahren aus.®° Der terminus ante quem für die Fertigstellung und für die Verle gung des Sitzes der Wiener Pfarre nach St. Stephan ergibt sich aus einer Ur kunde vom 28. Februar 1200, mit wel cher Herzog Leopold VI, von Österreich dem 1155 gegründeten Wiener Schottenstiit alle von seinen Vorfahren und vcfn anderen geschenkten Besitztümer- dar unter die in Wien gelegenen Kapellen St. Peter, St. Ruprecht und Maria am Gestade - bestätigte.®' Die Schenkung dieser Gotteshäuser ist wohl noch dem Gründer des Schottenstifls, dem 1177 verstorbenen Herzog Heinrich Jasomirgott, zuzuschreiben und dürfte schon anläßlich der Gründung oder bald da nach erfolgt sein, da sich die Fertigstel lung der Schottenkirche bis ins letzte Dezennium des 12. Jahrhunderts hinzog, die Mönche aber von Anfang an einer Andachtsstätte bedurften. Danach könnte die Vollendung von St. Stephan auf etwa 1155/1160 datiert werden®^, was, bezogen auf einen Baubeginn 1137, eine rund 20jährige Bauzeit ergäbe; man beachte, daß die Stiftskirche von Klo sterneuburg von 1114 bis 1136, die Stifts kirche von Heiligenkreuz zwischen 1136 und etwa 1160 entstand. Eine jener drei Kapellen - vielleicht St. Ruprecht, vielleicht St. Peter - war also, treffen all diese Überlegungen zu, schon 1137 und bis gegen 1160 die Pfarr kirche von Wien, die beiden anderen sind unter die „cetera oratoria" von 1137 einzureihen. Die Patrozinien von St. Peter und St. Ruprecht schließen eine Gründung durch das Bistum Passau aus, sie weisen vielmehr nach Salzburg, der vermutlichen Heimat des vieldiskutier ten „vorbabenbergischen" Stadtherrn Wiens; oder sind sie schon in karolingischer Zeit entstanden?®® Hier wäre nur zu prüfen, unter welchem Titel der österreichische Landesfürst um 1160 über diese Gotteshäuser verfügen konnte, da sie doch 1137 dem „reglmen" des Wiener Pfarrers unterstellt wurden. Man nimmt wohl zu Recht an, daß sich diese Unterstellung nur auf die geistli che Jurisdiktion bezog, die Kirchenge bäude aber Eigentum des Landesfürsten blieberi®^; und zwar einschließlich des Gebäudes der alten Pfarrkirche, soferne diese Pfarrkirche nicht schon vor 1137 St. Stephan war.®® Wie dem auch sei: in der vor 850 Jahren ausgestellten Urkunde über den Tauschvertrag von Mautern feiern wir ein Dokument, in welchem Wien als ,,civitas" (Burg im Sinne der späteren Stadt), die Wiener Pfarre und ihr Widum erstmals genannt werden; aber auch ein Dokument, dessen umstrittene Deutung nach wie vor ein Ansporn sei, sich der Erforschung der Anfänge unserer Stadt und ihrer kirchlichen Organisation zu widmen. Anmerkungen Eine Zitierung aller jeweils einschlägi gen Publikationen ist aus Raumgründen nicht möglich, es mußte eine Auswahl getroffen werden,im übrigen ist auf das Literaturverzeichnis im Anhang zu ver weisen. Zitate aus diesem sind mit der entsprechenden Nummer versehen. 'Siehe Anh. 1-4. ® Drucke des Textes: Anh. 3, 4, 18 (S.464), 25, 26 (S.227), 31 (S.35). 34 (S.32), 43,45. Abbildungen der Urkunde: Anh. 18(S.464, Tafel 22), 26(S. 10. Tafel 1), 36(Abb.5), 41 (S.42, Nr.64), 45(S. 1). Zu öffentlichen Ausstellungen der Ur kunde siehe Anh.36,37,44. ® Zur Erklärung der Übersetzung be stimmter Wörter siehe Anm.9,25. Entsprechenden Aufschluß geben u.a. die in Anh. 33, 36-40 und 44 zitier ten Werke, ferner die im Jahrbuch für Landeskunde von Niederösterreich, Neue Folge 42 (1976), enthaltenen Auf sätze. ® Der im Klosterneuburger Stiftsar chiv verwahrte Codex ediert von Maxi milian Fischer in: Fontes rerum Austriacarum (hgg. von der Österr. Akademie der Wissenschaften), 2/4, Wien 1851 (Nachdruck Graz 1964); sorgfältig ausge wertet bei Heide Dienst, BabenbergerStudien, Wien 1966. " Vgl. Mayer(Anh. 12), S.216. 'Vgl. etwa Tomek (Anh. 23), S. 172, und Kostelecky(Anh.31),S.27 ff. ® Siehe Dienst(Anm.5), S. 108-160. ® Siehe u. a. Richard Perger, Herzog Leopold VI. von Österreich und die Stadt Wien,in: Wiener Geschichtsblätter 26 (1971), Sonderheft, S. 272 f.; Opll (Anh.39), S. 30 f. Siehe Klebel (Anh. 21), S. 24-30; Ferdinand Opll, Der Wiener Burgfried (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, hgg. vom Verein für Geschichte der Stadt Wien, 15), Wien 1984, S. 7-16. "Zum Verlauf der alten Burgmauer (Graben-Naglergasse-Tiefer GrabenSalzgries-Rotgasse-Kramergasse) und der um 1200 errichteten Stadtmauer (Löwelstraße - Oppolzergasse - Helferstorferstraße - Börseplatz-SalzgriesFranz-Josephs-Kai-Dominikaner- und Stubenbastei-Seilerstätte-Walfisch gasse-Philharmonikerstraße- Außen front des Mitteltraktes der österr. Natio nalbibliothek und des Leopoldinischen Traktes der Hofburg) siehe u. a. Ferdi nand Oppl, Alte Grenzen im Wiener Raum (Kommentare zum Historischen Atlas von Wien,4), Wien-München 1986, S.9-36. Wahrmund (Anh. 14), 1, S. 5, Anm. 15; Kostelecky(Anh.31),S.26, Anm.10. 1® Dies vermuten u. a. Mayer (Anh. 12), S. 217; Klebel (Anh. 21), S. 39-41; Kostelecky(Anh.31),S.29-33. "Vgl.Flieder(Anh.34),S.35. So Oettinger (Anh. 26), S. 138; Flieder (Anh. 34), S. 35; Lechner (Anh. 38), S. 143 f.; Lohrmann(Anh.40),S.65. Siehe das Zitat bei Oettinger(Anh. 26), S. 26 f., nach der Edition in den Monumenta Germaniae historica, Deut sche Chroniken, in/2 (1900), S. 599 ff., Vers.35. "Siehe Anm.31. Vgl. den Baubefund von St. Rup recht, der in Teilen zumindest ins 11. Jahrhundert weist: Bauanalyse von Al fred Schmeller bei Oettinger (Anh. 26), S. 227-236. Siehe auch Perger(Anh. 32), S.51. So u. a. Lechner(Anh.38),S.244. So Feil(Anh.5), S. 139 f.; Camesina (Anh. 8), S. 1; Voltelini(Anh. 19), S. 22; Kostelecky (Anh. 31), S. 30; Lechner (Anh. 38),S. 244, glaubt,daß St. Stephan 1137im Entstehen begriffen war. Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, Hochstift Passau, Lit. 10, fol. 2; hgg. von Maidhof(Anh.22), S.410-412. An ein solches glaubte Klebel(Anh. 21), S. 96-99; dagegen Flieder(Anh. 34), S.41 f. "Perger(Anh.32),S.64 f. Zu seiner Lage Kostelecky (Anh. 31),S.25, Anm.6. Perger (Anh. 32), 46-49; Flieder (Anh.34), S.34 f. 2" Siehe Klebel (Anh. 21), S. 97 f.; Flieder (Anh. 34), S. 20. Vgl. auch die Reihe 5 des Bestandes „Grundbücher" im Wiener Stadt- und Landesarchiv. 2' Klebel(Anh. 21). S.54-64. 2® So schon Voltelini (Anh. 19), S. 2. Klebel (Anh. 21), S. 40-44, glaubt an einen Baubeginn erst im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts, Oettinger (Anh. 26), S. 139 f., an einen Beginn um 1137. 2® österreichische Nationalbibliothek, Handschriften- und Inkunabelsamm lung, Codex 352, fol. 40 v (Edition in Monumenta Germaniae historica, Scriptores IX, S. 629, Zeilen 23-24). Dazu Klebel(Anh.21),S.40 f. ®® Flieder (Anh. 34), S. 36-40; Zykan (Anh.42). S. 18. ®' Urkunde im Wiener Schottenstift, ediert von Ernest Hauswirth in Fontes rerum Austriacarum, 2/18, Wien 1849, Nr. 11, und bei Fichtenau-Zöllner (Anh. 25), Nr. 13. Zu den Anfängen des Schot tenklosters siehe zuletzt Coelestin R. Rapf, Das Schottenstift (Wiener Ge schichtsbücher 13), Wien-Hamburg 1974, S.9-18. ®2 Oettinger(Anh.26), S. 139 f. ®® Zu diesen Fragenkomplexen siehe u. a. die im Anhang unter Nr. 26. 27, 30, 33,38,39,40 zitierten Werke. ®'' Siehe u. a.Voltelini(Anh. 19), S.31; Oettinger (Anh. 26), S. 138; Wolf(Anh. 27), S.16 f. Dazu Anm.20. 36
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