Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

ner Pfarre inkorporiert war.® Bei der Peterskirche handelt es sich um den Vorgängerbau des zwischen 1702 und 1733 errichteten barocken Got teshauses auf dem Petersplatz im 1. Wiener Gemeindebezirk. Sie lag 1137 ,,in Wiennensi loco", was besser mit „auf einem Platz in Wien" statt mit ,,im Orte Wien" zu übersetzen wäre. Auf Wien selbst ist die an anderer Stelle vorkom mende Bezeichnung ,,civitas" zu bezie hen; das entsprechende deutsche Wort lautete damals „Burg" und nicht ,,Stadt". Unter ,,Burg" verstand man in jener Zeit eine ummauerte Siedlung, deren Bewohner, die „Bürger" (lat. cives), besondere Rechte genossen und ihre Häuser und Grundstücke zu „Burg recht" besaßen; vor den „Burgtoren" erstreckten sich die „Vorburgen", die bis zum „Burgfrieden", der äußeren Grenze des zur „Burg" gehörigen Terri toriums, reichten. Erst zu Ende des 12. Jahrhunderts kam für Siedlungen dieser Art der Ausdruck „Stadt" auf." Bei Wien deckte sich um 1137 die Burg mit dem Areal des einstigen Römerkastells, darin befanden sich nicht nur die Peterskir che. sondern auch die Kirchen St. Ru precht und Maria am Gestade, von de nen später die Rede sein wird. Zwischen der Mauer der Burg und dem Wiener Burgfrieden, der teils inner-, teils außer halb der heutigen Gürteltrasse verlief", erstreckte sich ein nur locker verbautes Gelände, von welchem um 1200 ein Teil -samt der Stephanskirche - durch An lage einer neuen, weiter ausgreifenden Ringmauer in die Stadt einbezogen wurde." Die mit der „traditio" der Peterskir che verbundenen Rechtsfolgen werden durch den mit „eo tenore" (mit der Maßgabe, in dem Sinne, unter der Be dingung) eingeleiteten Nebensatz erläu tert; nämlich „ut supradicta ecclesia et cetera oratoria in eadem barrochia con secrata deincebs in Wiennensis blebani sint regimine". Dieser Nebensatz wirft eine Fülle von Fragen auf. Gesichert erscheint, daß mit ,,supradicta ecclesia"(die oben genannte Kirche)St.Peter gemeint ist; daß die Bezeichnungen „ecclesia" (Kir che) und ,.oratoria" (Bethäuser, Gottes häuser) nach dem Quellenmaterial jener Zeit nichts über den kirchenrechtlichen Status dieser Gebäude aussagen, viel mehr unter „ecclesia" bloß ein größeres, unter „oratorium" ein kleineres Gottes haus zu verstehen ist;'^ daß die Unterstellung der Peterskirche und der übrigen Gotteshäuser unter das „regimen"(Jurisdiktion, Herrschaft) des „Wiennensis blebanus" (Wiener Pfar rers) erst „deincebs" (fortan, künftig) wirksam werden soll, woraus folgt, daß bis 1137 der Markgraf - kraft dem da mals noch gültigen Eigenkirchenrecht - über diese Kirchen gebot. Unklar erscheint, ob die Worte „in eadem barrochia consecrata" (in dieser Pfarre geweiht) auf St. Peter oder auf Wien als ganzes zu beziehen sind. Im ersteren Fall müßte St. Peter bis 1137 eine markgräfliche Pfarrkirche mit einem mehrere Kirchen umfassenden Pfarrsprengel, der nicht mit dem Spren gel des passauischen Pfarrers identisch war, gewesen sein; es hätte also bis dahin zwei Pfarren - eine markgräfliche imd eine passauische - in Wien gege ben.'"' Wieso konnte aber dann der pas sauische Pfarrer mit dem Attribut „Wiennensis" als für ganz Wien zustän dig gekennzeichnet werden? Bezieht man hingegen „in eadem bar rochia" auf ganz Wien bzw. den „bleba nus Wiennensis", wird die Angelegen heit noch rätselhafter; dann wären näm lich dem Wiener Pfarrer bis 1137 die Peterskirche und alle übrigen Gottes häuser seines Pfarrsprengels nicht un terstanden, er hätte also ohne Residenz kirche amtiert, was undenkbar er scheint; es sei denn, man nimmt an,daß in der Aufzählung der Kirchen(St.Peter und die übrigen „oratoria")die damalige Wiener Pfarrkirche nicht inbegriffen war. Auch dies ist schwer verständlich; eine Pfarrkirche ohne Sprengel? So bleiben nur Deutungen übrig, die nicht am Wortlaut des Vertrages kleben: etwa so, daß ganz Wien vor 1137 eine markgräfliche Eigenpfarre war, daß im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, der den Verzicht des Markgrafen auf die Wiener Pfarre zum Gegenstand hatte, der bisherige markgräfliche Pfarrer schon ausgeschieden war, und daß der passauische Pfarrer, dem künftig St. Peter und alle übrigen Wiener Kirchen unterstehen sollten, eben erst ernannt oder noch zu ernennen war." In diesem Fall könnte St. Peter, das an der Spitze der Wiener Gotteshäuser genannt wird, 1137 die Pfarrkirche von Wien gewesen sein.'® Auch dazu gibt es einen Einwand. Jans Enenkel berichtet um 1270 in sei nem „Fürstenbuch", daß St. Ruprecht die erste Wiener Pfarrkirche gewesen sei und noch in seiner Zeit im Volksmund ,,Die Pfarre" genannt wurde'®, obwohl es damals schon längst zu einer „Ka pelle" herabgesunken war.'"' Dies setzt aber voraus,daß St. Ruprecht lange Zeit als Pfarrkirche fungierte und als solche unmittelbar von der zu Enenkels Zeiten bestehenden Wiener Pfarrkirche St. Ste phan abgelöst wurde.'® Wäre, wie gele gentlich angenommen wird, der Sitz der Wiener Pfarre vor 1137 von St. Ruprecht nach St. Peter verlegt worden'®, hätte sich die oben erwähnte Tradition doch wohl kaum bis um 1270 behaupten kön nen! Daß St. Stephan schon vor 1137 als Pfarrkirche bestanden habe-", ist un wahrscheinlich. Es gibt keinen einzigen Beleg über Rechte des Bistums Passau in Wien vor dem Mauterner Vertrag. Die im passauischen Urbar von 1324 unter der Rubrik ,,Hofmark Wien" verzeichne ten Einkünfte „in civitate Wiennensi et juxta civitatem" sind „servitia, que fulgariter dicuntur purchrecht"^', also übertragbare kapitalisierte Renten, die man damals „Burgrecht" nannte, und nicht „servitia iure fundi", Grundrechts zinsen, die das unmittelbare Eigentum an Grund und Boden ausweisen; außer dem topographisch so verstreut, daß ein geschlossenes bischöfliches Besitztum beim besten Willen nicht erkennbar ist.^'-' „Hofmark" ist in diesem Zusam menhang nichts anderes als ein Güterverwaltun^sprengel; die Zentrale dieses Sprengeis war der Passauer Hofin Wien, der bezeichnenderweise unter anderer Grundherrschaft stand.'^® Die Besitztü mer der Pfarre Wien aber, abzuleiten aus dem Mauterner Vertrag, haben mit jenen bischöflichen Einkünften nichts zu tun. Damit kommen wir zu jenem Teil des Vertrages, der die Gegenleistung des Passauer Bischofs an den Markgrafen betrifft: es ist eine „vinea Wartberc sita", ein in (oder am)Wartberg (bei Krems?) gelegener Weingarten,den ich hier nicht näher behandeln wilP', und „dimidia pars dotis iuxta civitatem posita", was man entweder mit „die Hälfte des bei der Burg gelegenen Widums" oder bes ser mit ,,die bei der Burg gelegene Hälfte des Widums" übersetzen kann. Als Widum, lateinisch Dos, bezeichnete man in jener Zeit das Ausstattungsgut einer Kirche; im konkreten Fall war es ein Widum, über das der Passauer Bi schof verfügen konnte und von dem er eine Hälfte an den Markgrafen abtrat, die andere Hälfte behielt, also das Wi dum der Wiener Pfarrkirche, die der Bischof 1137 schon besaß oder erst er warb. Von der dem Markgrafen überlassenen Hälfte wird gesagt, daß sie „iuxta civitatem", bei der Burg, also nahe zur damaligen Wiener Umwallung, lag, und daß ihre Abtretung „exceptis curtilocis, ubi stabula sunt constructa" erfolgte, d. h. mit Ausnahme der Hofstätten, auf welchen Ställe errichtet worden sind. „Hofstatt"(lat. curtilocus oder area) war im mittelalterlichen Wien ein Flächerumaß, bezogen auf eine verhältnis mäßig kleine, zur Verbauung bestimmte Grundstücksparzelle; dem Bischof ver blieben also mehrere solcher Parzellen, auf denen damals Ställe standen, dem Gesamtwert dieser Parzellen entsprach offenbar der Weingarten zu Wartberg, mit dem der Markgraf für die Verringe rung der ihm überlassenen Widumshälfte entschädigt wurde.Für diese Ver ringerung zugunsten des Passauer Bi schofs muß ein besonderer Grund be standen haben; es war, wie ich glaube, die Sicherung eines Baugrundes für eine neue, größere Wiener Pfarrkirche, für St. Stephan. Darauf deuten auch die erwähnten Ställe, die wohl mit dem ältesten Wiener Roßmarkt, dem heuti gen Stock-im-Eisen-Platz, der unmittel bar an den Stephansplatz grenzt, in Verbindung zu bringen sind. Die er wähnten Hofstätten dürften sich über das Areal der ersten (romanischen) Ste phanskirche, des Pfarrhofes (heute Erzbischöfliches Palais) und wohl auch des angrenzenden Zwettlhofes erstreckt ha ben; sie lagen unmittelbar vor der dama ligen Burgmauer, die hier im Zuge der Kramergasse verlief und dann in Rich tung Graben umbog.Die um die Hofstät ten verminderte, dem Markgrafen überlassene Widums-Hälfte dürfte gegen Nordosten von der heutigen Wollzeile, gegen Nordwesten von der heutigen Kärntner Straße begrenzt gewesen sein.^® Die der Wiener Pfarre verblie bene Hälfte ihres bisherigen Widums aber ist mit der alten Wiener Vorstadt 35

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