Wiener Diözesangeschichte 1960 - 1996

Stockerauer Wallfahrten nach Mariazell (1657-1981) OSR Hugo Nikel Wallfahrten sind Ausdruck religiöser Gesinnung und religiösen Lebens. Der Wallfahrer pilgert.zu einer heiligen Stätte, zueinem gnadenspendenden Ort,um dort zu beten, um seine Anliegen der Fürbitte der Gottesmutter oder von Heiligen zu empfehlen, um ein Gelübde zu erfüllen. Der Brauch des Wallfahrens ist uralt und nach gläubiger Schau ein verdienstvolles Werk.AlsderInbegriffeiner Wallfahrtgilt auch heute noch eine Pilgerreise ins Hei lige Land.In der christlichen Kirche sind Pilgerreisen seit dem 4. Jahrhundert be sonders zu den Gräbern der Märtyrer un ternommen worden.Im 10. Jahrhundert kamen die ersten großen Marienwallfahr ten auf;1136 wird dasKloster Kleinmaria zell gegründet, und 1157 Mariazell. Mit dem Ende des 15.Jahrhundertsfindet die erste WallfahrtsepocheihrEnde.Um 1500 werden in Mariazell bereits Pilger von 14 Nationen verzeichnet. Der Zustrom der Pilger geht dann stark zurück. Gegenreformation, Pest, Schwedenund Türkenkriege führen im 17.Jahrhun dert und im 18. Jahrhundert zur zweiten großen Wallfahrtsepoche. Kaiser Ferdi nand III. stellt Österreich unter den Schutz der Gottesmutter. In dieser Zeit werden die Gnadenstätten im Schmuck des Barockstils ausgestaltet. Freude und Jubel über die Türkensiege,Dank für die Befreiung von allen Nöten finden ihren herrlichen Ausdruck. Die Gnadenorte finden großen Zulauf, Mariazell wird der bedeutendste Marien wallfahrtsort. Von den Wallfahrten der Stockerauer nach Mariazell künden uns zahlreiche Aufzeichnungen in den Kirchenrechnun gen und Archivalien derPfarre Stockerau. Die erste Kunde von einer Stockerauer Wallfahrt nach Mariazell findetsich in der Kirchenrechnung des Jahres 1617. Diese Nachricht läßt den Schluß zu, daß schon vor 1617 solche Wallfahrten unternom men worden waren.Die Textstelle lautet: „Interim aber halt herr Pfarrer dieSamm lung für die vorhandener Leuth So auf Zell geraist, zu sich genomben und dasselbige Gellt,denZellem so nit Geldtzum Zöhren gehabt,außtailen Lassen.Diß von Berichts wegen Hiehergesetzt." Es wird also festgehalten, daß der H. Pfarrer Sammelgeld für arme, bedürftige Wall fahrer aufbewahrt hat; es wurdezur Wall fahrt ausgeteilt. Ausden Jahren 1617 bis 1653schweigen die Quellen über die Wallfahrten; wäh rend desDreißigjährigen Krieges(1618 bis 1648)dürften keine stattgefunden haben. Die Mariazeller Prozessionen setzten dann um 1650 wieder ein. Im Ratsprotokoll von Stockerau aus dem Jahre 1653, Blatt 29, steht die wich tige Angabe: „zur großen Andacht und Ehre Gottes widerumben ein procession nacher Zell angestellt wird." F^r den be gleitenden Priester, für die Musikanten und Fahnenträger bewilligte derMarktrat (Ratsprotokoll 1652-1658, Blatt 163) von 1656 ab jährlich 18 fi,ein Betrag,der sich später immer steigerte und durch die „Gaisrucksche Instruktion" mit 70 Gul den festgesetzt w\irde. In den jährlichen Kirchenrechnungen finden sich unter den „verschiedenen Ausgaben"Beträge für Ausgaben zur Ma riazeller Wallfahrt. Diese Beträge schwanken je nachdem die Anzahl der Läuter und Fahnenträger „mit Brot und Trunk", die bei der Heimkehr am Emp fang der Pilger beteiligt waren; so sind ausgewiesen:4,6,9,12,15,18,24,30,32,54 Kreuzer und 1 Gulden (60 Kreuzer). Die Beträge sind unter folgenden ähnlich lau tenden Eintragungen verrechnet: „denen Fahnenträgern und Leitern als die Pro cession von Zell nach Haus khomen für Brod";oder„Item die Procession von un ser lieben Frauen Zell khomen für Schul meister und Turner (Musikanten"; ...„vor Brodt gegeben den Kirchenbe dienten als die Procession von Zell komben";...„denen Leithem,Fahnenträgern und Musikanten als man der Zeller Pro cession entgegengangen umb Brod ge ben";...wie die Prozession von Mariazell khomen"; ...„von Zell khomen"; ...„wie man nach Maria Zell gangen und wieder zurückkhomben denen Bedienten vor Brod geben"; wie die Procession von Mariazell khomen denen wieder um .. ...„den Schulmaister und Leuthem wegen auß und Einbegleidung der Zeller". Einige wenigeandereRechnungsbelege geben interessante Details zur Zeller Pro zession und gewähren gewissen Einblick in manche Begebenheit. 1702: „Eine Elle Rothe Leinwath zur Zellerfahne gekauft... 12 Kreuzer." 1754: Der Totengräber Matthias Edlinger bestätigt den Empfang von 5 Gulden für das Läuten „deren Processionen", darunter auch für die Mariazeller Prozes sion. 1766: Beim feierlichen Empfang der heimkehrenden Wallfahrer wirkten „6 Singerknaben"mit.DerPerückenmacher Karl Berendt bestätigt den Empfang von „4 Gulden 18 Kreuzer für An- und Auszie hung" der 6 Knaben bei verschiedenen Feierlichkeiten, darunter einmal „wegen des Einzuges der Mariazeller Prozession". 1768: Aus einer Schlosserrechnung ist zuentnehmen,daß„beiderZeller Reiß"1. für Reparatur eines St.-Sebastian-Verschlages für 2 Kloben 8 Kreuzer bezahlt wurden (Mitführen der St.-Sebastija-Statue der St.-Sebastian-Bruderschaft?); 2. eineandere Kloben-und Bänderreparatur „zur Trugen" (Truhe), wo der Thumer (Musikanten) die Kleidung mitführten, kostete 12 Kreuzer. 1768:In derKirchenrechnung 1768 wird am Schluß der Rechnung unter „Veran lassung" zur abgeschlossenen Jahres rechnung kund: ■,Pfärrer Finetti regt die Untersuchung der aufgeworfenen Frage an, ob die Mariazeller Wallfahrt förmlich oder gelobt sei, damit das weitere hierüber zum möglichen Nutzen der Kirche veran laßt werden kann." Diese Eintragung ent spricht ganz dem vorherrschenden Zeit geist der Aufklärung und der damit ver bundenen Einstellung zu Wallfahrten. Ein Untersuchungsergebnis ist nicht vorhan den, aber die Tatsache, daß von 1769 bis 1810 keine Wallfahrt irgendwohin ver zeichnet ist und daß 1772 bzw. 1782 ein Wallfahrtsverbot erlassen worden ist, gibt indirekt Antwort darauf. 1771: „Item nach Michelhausen ein Bothen wegen der Zeller Procession abge führt . . . 46 Kreuzer." Den aufgezeigten Verhältnissen entsprechend, dürfte dies vorderhand die letzte Mariazeller Wall fahrt gewesen sein. 1780; Die Pfarrchronik berichtet: „Bis 1780 wallfahrteten die Stockerauer seit ei nem in undenklichen Zeiten getanen Ge lübde alljährlich nach Mariazell, nach Klostemeuburg (St.-Sebastiani-Bruderschaft) und nach Kamabrunn (Pest 1713). - Das „alljährlich" bezieht sich wohl für die Mariazeller Wallfahrt nur bis 1771. Für die gelobte alljährliche Wallfahrt nach Mariazell ist für die Jahre 1617 bis 1653 (Dreißigjähriger Krieg!), 1667, 1669, 1675,1680, 1683 bis 1685 (Pest), 1687.1688, 1692,1701, 1711 bis 1716 (Pest 1713), 1718, 1720 bis 1725,1730 bis 1753,1755 bis 1759, 1761 bis 1765, 1767 kein schriftlicher Nachweis vorhanden. Die Wallfahrt kann aber trotz der Beweislücken in manchen dieser Jahre stattgefunden haben. Wie alle Wallfahrten hörten auch die nach Mariazell in der Zeit der Aufklärung, die den Wallfahrten nicht hold war, auf. 1772 erfolgte das Verbot der Wallfahrten außer Landes und der Abhaltung von Wallfahrten, die länger als einen Tag dau erten, um die Religion von äußerem Bei werk zu reinigen. 1782 wurden schließlich alle Wallfahrten, Prozessionen, mit Aus nahme der feierlichen Umgänge, Bittage und der Fronleichnamsprozession verbo ten. Die Mehrzahl der Wallfahrtsorte und -kirchen haben diese Epoche, wenn auch mit Unterbrechungen, überstanden. Der Josephinismus mit seinen staatskirchlichen Ideen herrschte bis tief in das 19. Jahr hundert hinein und gab der religiösen und kirchlichen Entwicklung ein eigenes Ge präge. Der hl. Klemens Maria Hofbauer leitete anfangs der ersten Hälfte des 19. Jahr hunderts die Rückkehr zu einem regen katholischen Leben (Wien,+ 1820) ein. Ein neuer Wallfahrtsgeist hält den gan zen Vormärz über an und setzt sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts trotz der dominierenden Geistesrichtung des Liberalismus und des aufsteigenden So zialismus fort. Die Marienerscheinungen im Februar 1858 in Lourdes und 1917 in Fatima regen die Marienverehrung be sonders an. Vom weiteren Verlauf der Stockerauer Wallfahrten nach Mariazell im Zeitraum 1810 bis heute ist zu berich ten wie folgt. Es finden sich einige wenige Angaben über Wallfahrten, das Gelübde der alljährlichen Wallfahrten ist voll kommen in Vergessenheit geraten, und •Pügerreisen nach Mariazell werden fäll weise durchgeführt. 47

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